Da auf Twitter viele gewünscht haben, dass ich das heutige Interview mit Christian Wulff aus sprachlicher Sicht kommentiere, werde ich hier ein paar kurze Anmerkungen machen. Natürlich ist dabei zu berücksichtigen, dass es sich um ein Interview und nicht um eine Rede handelt. Da bei mehr oder weniger spontanen Interviews der Sprecher nicht sehr kontrolliert spricht, wäre vielleicht ein Psychologe gefragt, die Formulierungen zu kommentieren.
Wulffs Ich
Im Interview geht es um Wulff selbst, also ist zu erwarten, dass er häufig das Pronomen ich verwendet. Doch oft (in über einem Drittel der Fälle) spricht er von man anstelle von ich:
Vielleicht muss man die Situation auch menschlich verstehen, wenn man im Ausland ist, in vier Ländern in fünf Tagen und zehn Termine am Tag hat und erfährt, dass Dinge während dieser Zeit in Deutschland veröffentlicht werden sollen, wo man mit Unwahrheit in Verbindung gebracht wird. Wo man also Vertrauensverlust erleidet, dann muss man sich auch vor seine Familie stellen, wenn das Innerste nach außen gekehrt wird, private Dinge, eine Familienhausfinanzierung, wenn Freunde, die einen Kredit gegeben haben, in die Öffentlichkeit gezogen werden, dann hat man Schutzfunktionen, und man fühlt sich hilflos.
Das erste man in diesem Absatz meint Außenstehende, um dann noch im selben Satz auf den Sprecher zu referieren („wenn man im Ausland ist“); „man“ handelt hier in Reaktion auf die Presse, die aber nicht genannt wird, sondern nur implizit in Passivkonstruktionen auftritt (offenbar sollen sich die Journalisten, die ihn interviewen, nicht provoziert fühlen). Die Verwendung von man, die sich im Text noch fortsetzt, soll den Handelnden als Opfer von Ereignissen und Umständen darstellen, mit dem sich Außenstehende identifizieren sollen. Daher wird das unpersönliche man später auch durch das unpersönlich verwendete Anredepronomen Sie ersetzt:
Wenn Sie die Erfahrung machen, dass privateste Dinge aus dem privatesten Bereich, zum Teil Jahrzehnte zurückliegend, aus einer schwierigen Kindheit, einer schwierigen Familie, öffentlich gemacht werden und Sie kurz vor Veröffentlichung mit den Fakten konfrontiert werden, dann ist es doch normal, dass man darum bittet, noch mal ein Gespräch zu führen.
Hier kehrt er auch gleich wieder zum man zurück. (Die Hyperbel privatest kommentiere ich mal nicht.)
Leider ist die Verwendung von man in Verbindung mit „als Staatsoberhaupt“ oder „als Bundespräsident“ weniger gelungen, denn auch wenn es heißt: „wir sind Papst“ ist „man“ eher nicht Staatsoberhaupt. Es soll ausgedrückt werden: auch ein Bundespräsident sei nur ein Mensch (wieder mit man):
man muss eben als Bundespräsident die Dinge so im Griff haben, dass einem das nicht passiert. Trotzdem ist man Mensch und man macht Fehler.
Auch im Zusammenhang mit den ihm gestellten Fragen, verwendet Wulff wieder das impersonale Sie:
Wenn Sie 400 Fragen bekommen. Wir [!] haben inzwischen 400 Fragen durch die von mir beauftragten Anwälte […] Also bei 400 Fragen und wenn gefragt wird, was es zu essen gab, bei Ihrer ersten Hochzeit und wer Ihre zweite bezahlt hat und ob Sie den Unterhalt für Ihre Mutter gezahlt haben und ich könnte jetzt tausend Sachen mehr nennen und wer die Kleider für Ihre Frau gezahlt hat […]
Auch in diesem Sie steckt die Implikatur: Das könnte auch Ihnen passieren, was würden Sie denn anderes tun? – Es geht also darum, die Hörer dazu aufzufordern, sich mit dem Sprecher zu identifizieren und alles als „normal“ zu akzeptieren (das Wort normal fällt ja auch im Zitat weiter oben).
Antonymie und Polysemie
Wulff hatte in seiner vorweihnachtlichen Erklärung gesagt, der neue Kredit sei „festgeschrieben“. Das Wort ist etwas seltsam in dem Zusammenhang, weil Verträge ja meist unter- und nicht festgeschrieben werden. Inzwischen ist bekannt, dass die Unterschrift erst Ende Dezember erfolgte und der Vertrag erst am 16. Januar in Kraft treten wird. Also interpretiert Wulff festgeschrieben jetzt mit der „Handschlagqualität in dem Bereich, wenn man sich mit einer Bank verständigt.“ Mal abgesehen davon, dass Privatkredite von Banken nicht per Handschlag vergeben werden, ist ein Handschlag das Gegenteil (Antonym) von einer Festschreibung.
Als konverse Antonymie wird das Verhältnis der Wörter leihen und (ver-) leihen bezeichnet, die im Deutschen durch unterschiedliche Konstruktionen ausgedrückt wird: sich etwas leihen, jemandem etwas leihen. Wulff verwendet statt ‚sie wollte mir etwas leihen‘: „da wollte Frau Geerkens das Geld bei mir anlegen“ (also ein anderes Antonym von sich leihen). Damit lenkt er ab von einem eigenen Vorteil und stellt die Handlung als einen Vorteil für den Entleiher dar.
Das Wort Bewährung hat eine gewisse Bedeutungs- und Verwendungsbreite (Polysemie): So wird es auch in juristischen Zusammenhängen verwendet. Diese Verwendung des Wortes lehnt Wulff in Bezug auf seine Person ab („den Begriff der Bewährung halte ich für abwegig“), um das Wort dann aber gleich selbst zu verwenden, nämlich in seiner nicht-juristischen, moralischen Bedeutung, und zwar am Ende desselben Satzes:
den Begriff der Bewährung halte ich für abwegig, sondern ich bin jetzt schweren Herausforderungen ausgesetzt, aber man muss eben auch wissen, dass man nicht gleich bei der ersten Herausforderung wegläuft, sondern dass man sich der Aufgabe stellt, und auch weiß, wem es in der Küche zu heiß ist, der darf nicht Koch werden wollen, wie es Harry S. Truman gesagt hat, und deswegen muss man offenkundig auch durch solche Bewährungsproben hindurch..
Er ist also kein Bundespräsident auf Bewährung, sondern ein Bundespräsident auf Bewährungsprobe.
Der Schluss
Das Bild von dem Koch in der Küche ist natürlich ein gelungener Schluss. Möglicherweise hat Wulff schon früher mit dem Ende des Gesprächs gerechnet, denn auch die beiden vorherigen Absätze schließen mit Formulierungen, die zu einem Schluss passen: zunächst das Bibelzitat: „Derjenige, der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“. Dann folgt (wohl ausgelöst durch Deppendorfs „zusammengefasst“) noch einmal der Versuch eines Schlussworts, in dem er sich sogar dazu hinreißen lässt zu behaupten, er habe das Amt gestärkt. Hier ist auch wieder der man-ich-Gegensatz interessant, wobei nicht ganz klar ist, ob der das unpersönliche Pronomen hier überhaupt auf sich bezieht:
durch diese Art von Umgang mit den Dingen hat man dem Amt sicher nicht gedient, aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich durch eine ganze Reihe von Aktivitäten, in der Amtszeit das Amt des BP wieder gestärkt habe.
Schließlich folgt das Truman-Zitat, das vielleicht mehr als das Bibelzitat die Situation herunterspielt, indem sie zu einer „Herausforderung“ wird, in der „man“ sich „bewähren“ muss („und deswegen muss man offenkundig auch durch solche Bewährungsproben hindurch“).